Was sind frühkindliche Reflexe und wie entwickeln sie sich?
Wofür brauchen wir sie überhaupt?
Wenn ein Baby geboren wird, hat es bereits eine unglaubliche Reise hinter sich – und eine vollkommen neue, aufregende Welt vor sich! Es soll nun lernen sich fortzubewegen, zu kommunizieren und immer selbstständiger leben zu können. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, verfügt das Baby bereits im Mutterleib über eine Reihe von sogenannten frühkindlichen Reflexen.
Frühkindliche Reflexe sind in erster Linie unwillkürliche Bewegungen des Körpers, die vom Gehirn gesteuert werden.
Schon ab der fünften Schwangerschaftswoche ist es dem Embryo auf diese Weise möglich, sich zu bewegen - noch ganz reflexhaft und unbewusst und zunächst noch sehr undifferenziert, mit dem gesamten Körper. Die Bewegungsmuster werden im Verlauf der Schwangerschaft immer genauer und bilden die Grundlage für die weitere Entwicklung außerhalb des Mutterleibs.
Als Beispiel möchte ich auf den Greifreflex eingehen, den viele von Euch bestimmt kennen.
Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an festen Griff Eures gerade erst geborenen Babys, als es Euren Zeigefinger fest in seiner Hand hielt.
Berührt etwas die Handinnenfläche eines Babys, greift dieses reflexartig zu - und hat dabei schon enorm Kraft.
Der Greifreflex gehört zu den frühkindlichen Reflexen und entwickelt sich, wie die anderen dieser Reflexe, bereits im Mutterleib. Er kann bereits in der 18. Schwangerschaftswoche ausgelöst werden. Dann umklammert das ungeborene Baby zum Beispiel seine Nabelschnur.
So gibt es eine Reihe an Reflexen, die bereits in der Schwangerschaft die kleinen Muskeln des Fötus trainieren, sein Gleichgewicht und die Wahrnehmung stimulieren und es auf die Geburt und das Leben außerhalb des Mutterleibs vorbereiten.
Und auch während und nach der Geburt spielen die frühkindlichen Reflexe und die sogenannten posturalen Reaktionen eine wichtige Rolle und bilden die Basis für die weitere Entwicklung eines Kindes - so ist der Greifreflex zum Beispiel die Grundlage für die Entwicklung der Feinmotorik und damit Basis für das Lernen des Schreibens.
So wie der Greifreflex entwickeln sich die frühkindlichen Reflexe bereits im Mutterleib. Dabei ist es wichtig, dass sich die Reflexe zum richtigen Zeitpunkt entwickeln. So haben sie genügend Zeit zu reifen, um unter der Geburt und danach ihre volle Wirkung zu entfalten. Später ist es wiederum wichtig, dass die Reflexe ihre Wirkung wieder verlieren und in reifere Bewegungsmuster übergehen - die Reflexe werden "integriert".
Dieser ganze Ablauf ist die "neuromotorische Entwicklung".
Als Beispiel möchte ich Euch den Asymmetrisch Tonischen Nackenreflex (kurz ATNR) etwas näher erklären. Er bewirkt, dass, wenn das Baby zu einer Seite schaut, Arm und Bein der Blickseite sich strecken und Arm und Bein der anderen Seite sich beugen. Im Mutterleib und in den ersten Lebenswochen trainiert der Reflex die Beuge- und Streckmuskulatur, unterteilt den Körper in eine rechte und eine linke Seite und übt die sogenannte Auge-Hand-Koordination, da der Blick zur ausgestreckten Hand wandert. Für das spätere Lesen und Schreiben ist es daher wichtig, dass dieser Reflex sich gut ausreift. Unter der Geburt hilft der ATNR dem Baby sich rotierend durch den Geburtskanal zu bewegen. Wie genau entwickelt sich der Reflex?
Der ATNR reift im Mutterleib und kann bei dem ungeborenen Baby bereits in der 18. Schwangerschaftswoche ausgelöst werden. Das kann die Mutter zum Teil als kräftige Tritte im Bauch spüren.
Auch die anderen frühkindlichen Reflexe entwickeln sich im Mutterleib. Die ersten schon ab der 5. Woche, manche erst nach der 20. Woche.
Der Fötus hat dann im Mutterleib genügend Zeit, herum zu turnen und bestimmte Bewegungsmuster zu üben.
Sobald ein Reflex ausgereift ist, beginnt die Waltezeit - also die Zeit, in dem ein Reflex aktiv ist und Bewegungsmuster immer und immer wieder geübt werden.
Der ATNR ist ab der 18. Schwangerschaftswoche aktiv und ermöglicht dem Fötus und dem neugeborenen Baby zum Beispiel das Training seiner Streck- und Beugemuskulatur, die erste Erfahrung, dass der Körper eine rechte und eine linke Hälfte hat und ein wichtiges Training des Gleichgewichts.
Die Waltezeit des ATNRs dauert bis etwa zum vierten bis sechsten Lebensmonat an.
Zwischen dem vierten und sechsten Lebensmonat verliert der ATNR zunehmend seinen Einfluss auf die kindliche Motorik und sollte darüber hinaus nicht mehr auslösbar sein. Bei einem einjährigen Kind zum Beispiel sollte eine Kopfdrehung nicht mehr verursachen, dass der Arm oder das Bein eine Streck- oder Beugetendenz bekommen.
Man spricht davon, dass die frühkindlichen Reflexe nach ihrer Waltezeit integriert werden. Das bedeutet einfach, dass die Bewegungen des Kindes nach und nach weniger reflexhaft, sondern immer bewusster gesteuert werden.
Die frühkindlichen Reflexe entwickeln sich bereits im Mutterleib und werden nach einigen Lebenswochen oder -monaten integriert. Wichtig für die kindliche Entwicklung - und dafür auch für unsere Arbeit mit INPP - sind aber auch die sogenannten posturalen Reaktionen. Diese entwickeln sich erst nach der Geburt. Einige von ihnen werden ebenfalls nach einiger Zeit integriert. Andere sollen uns jedoch ein Leben lang erhalten bleiben.
Hierzu zählen zum Beispiel die Kopfstellreaktionen. Sie ermöglichen es uns, den Kopf immer senkrecht, entgegen der Schwerkraft zu halten, ohne, dass wir diese Bewegung bewusst steuern müssen.
Damit sich die posturalen Reflexe richtig entwickeln können, müssen die frühkindlichen Reflexe sich wiederum auch gut entwickelt haben, sie gehen teilweise ineinander über und bedingen sich somit gegenseitig. Die Kopfstellreaktionen können zum Beispiel nur richtig ausreifen, wenn der ATNR zum richtigen Zeitpunkt erwacht und wieder integriert wurde. Ein ATNR, der noch über seine eigentliche Zeit hinaus vorhanden ist, behindert demnach die Entwicklung der Kopfstellreaktionen.
Dies soll Euch verdeutlichen, wie die verschiedenen Entwicklungsschritte Eurer Kinder aufeinander aufbauen und ineinander greifen. "Stolpersteine", die bereits in der Schwangerschaft oder den ersten Lebenswochen entstehen, können weitreichende Folgen haben.
Zu der Bedeutung der frühkindlichen Reflexe und auch der posturalen Reaktionen habe ich Euch bereits ein bisschen geschrieben. Ich möchte es Euch aber noch genauer erläutern.
Bereits hier haben die frühkindlichen Reflexe eine große Bedeutung. Sie bereiten den Fötus auf das Leben außerdem des Mutterleibs, auf ein Leben in Schwerkraft vor. Dafür trainieren sie die Muskulatur und das Gleichgewicht, die das neugeborene Baby bald braucht, um sich gegen die Schwerkraft aufzurichten. Die Körpereigenwahrnehmung des noch ungeborenen Babys wird mithilfe der Reflexe entwickelt. Es reagiert auf Berührung und lernt nach und nach, vor allem nach der Geburt, die Berührung zuzuordnen, um so ein Gefühl für seinen Körper zu bekommen - das eigene Körperbild formt sich.
Während der Geburt sind einige der frühkindlichen Reflexe, zum Beispiel der ATNR, beteiligt, um das Baby den Weg durch den Geburtskanal zu ermöglichen.
Direkt nach der Geburt ist der Mororeflex an dem ersten Atemzug des Babys beteiligt. Der Saugreflex ermöglicht es ihm, Milch aus der Brust der Mutter zu trinken.
In den ersten Lebenswochen und -monaten lernt das Baby nun nach und nach, sich gegen die Schwerkraft zu bewegen. Die Reflexe helfen dabei - der Tonische Labyrinthreflex (rückwärts) zum Beispiel unterstützt das Baby dabei, aus der anfänglich gebeugten in eine gestrecktere Haltung zu kommen und den Kopf gegen die Schwerkraft zu heben. Dabei wird gleichzeitig das Gleichgewicht stimuliert und ausgereift, das es dem Baby ermöglicht, später stabil zu sitzen, zu krabbeln, zu stehen und zu laufen.
Das Körperbild des Babys wird immer genauer - mit Hilfe der Reflexe bekommt es ein Gefühl für die Dimensionen oben/unten, rechts/links. So entsteht zuerst eine Orientierung im eigenen Körper, später auch im gesamten Raum.
Eine gute Raumwahrnehmung wird später beispielsweise beim Rechnen lernen benötigt.
Mithilfe der Reflexe übt das Baby bestimmte Bewegungsmuster - immer und immer wieder. Wenn die Reflexe nach ihrer Waltezeit integriert werden, erlernt das Baby immer neue Bewegungsmuster. Vor allem lernt es, diese bewusst auszuführen.
So lernt es, im Verlauf des ersten Lebensjahres bewusst einen Gegenstand zu greifen und diesen wieder loszulassen; zu klatschen; zu winken; sich zu drehen, zu robben, zu krabbeln oder sich auf andere Weise fortzubewegen; zu sitzen; usw.
Die Reflexe bilden also die Grundlage für die Entwicklung der Grob- und Feinmotorik und der Bewegungskoordination. Diese Fähigkeiten benötigt das Kind zum Beispiel, um das Sprechen zu lernen, das Laufen, Rennen und Springen und später auch um das Schreiben zu erlernen.
Die Punkte, die ich Euch nun genannt habe, sind nur einige Beispiele für die Bedeutung der frühkindlichen Reflexe.
Wichtig ist, dass die frühkindlichen Reflexe bereits im Säuglingsalter die Basis für die weitere Entwicklung eines Kindes schaffen.
Kommt es bereits hier zu Stolpersteinen, können sich diese direkt oder auch erst Jahre später bemerkbar machen und für Probleme sorgen.
Wie können diese "Stolpersteine" aussehen? Also was passiert, wenn die neuromotorische Entwicklung nicht so abläuft, wie ich es Euch gerade beschrieben habe?
Das könnt Ihr hier nachlesen:
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